Text: Nicolai Bleskie
Über diesen Blog
Was sind die Dos und Don’ts innerhalb der Schweizer Musikbranche? Ob für Neueinsteigende oder daran interessierte: Mit diesem Blog schafft IFPI Schweiz Klarheit, gibt Rat und hilft, das Schweizer Musikschaffen besser zu verstehen.
Weil gute Musik professionellen Umgang mit ihr verdient.
27.09.2024 – Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Doch was heisst kreativ sein im Zeitalter von KI? Wie kann die Kreativbranche von KI profitieren? Ist das Recht für KI gewappnet und auch im Sinne der Kreativen? Wir werfen einen Blick auf das immer verbreiterte Zusammenspiel von Mensch und Maschine, die Vorzüge und Risiken von KI für Kreative und was uns das Recht zu alledem sagt – oder sagen sollte.
Was ist Kreativität?
Nemos «The Code», Winner des Eurovision Song Contests 2024, würdigten viele als kreativ. Aber was heisst Kreativität? Kreativität empfinden alle anders. Gemeint sind im Allgemeinen die schöpferische Kraft, der Einfallsreichtum, das kreative (Vorstellungs-)Vermögen; kurzum die Fähigkeit neuer Ideen. Bei Nemo war es wohl die originelle Mischung von Musik-Genres, kombiniert mit der atemberaubenden Performance.
Nicht von ungefähr kommt die Bezeichnung Kreativbranche, welche nebst Musik auch Literatur, Kunst, Schauspielerei, Gaming und vieles andere mehr umfasst. Das Beispiel im Duden für Kreativität lautet denn auch: «ein Künstler von grosser Kreativität». Der Bezug zum Menschen ist dabei eine Selbstverständlichkeit bzw. traditionell im Begriff der Kreativität enthalten.
In der Linguistik wird Kreativität anders definiert: Es beschreibt die Fähigkeit, von endlichen sprachlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch zu machen. Aus beschränkten Wortzeichen bzw. der Sprache werden originelle Kombinationen geschaffen, die uns im Idealfall als kreative Meisterwerke erscheinen. Bei KI ist es nicht anders: Sie basiert auf mathematisch-statistischen Parametern, welche aus einer Datenbasis nahezu unbegrenzte Outputs generieren können.
Was ist KI?
Zwar ist es schon schwierig genug, menschliche Intelligenz zu definieren. Der Begriff «Künstliche Intelligenz» verrät uns aber bereits einiges, was dahinter steckt. Es ist die künstliche, technologisch-maschinelle Befähigung, menschlich-natürliche Intelligenz nachzuahmen. Eine künstliche Intelligenz eben. Sie basiert auf Rechenleistung, Algorithmen und Daten, die das Programm bereits im Vorfeld eingespeist erhält und/oder laufend aus der Umgebung aufnimmt. KI ist der IT-Branche zuzuordnen.
Die Outputs von KI sind Ergebnisse von statistischen Wahrscheinlichkeiten bzw. neuartigen Kombinationen. Sie gehen jeweils aus von den zur Verfügung stehenden Daten respektive Vorgaben (sog. Prompts). Die Resultate sind neue Inhalte. Dann ist von sog. generativer KI die Rede. Sie ist sowohl in Bezug auf die Datenbasis als auch auf die generierten Outputs lernfähig. Dies unterscheidet sie von «traditioneller» respektive «assistierender» KI. Letztere leistet nur bestimmte, zu erwartende Ergebnisse innerhalb vorgegebener Regeln. Sie erkennt und lernt Muster, anhand derer sie Resultate liefert (sog. «Machine Learning»). Generative KI und Kreativität hingegen haben darüber hinaus gemein, gänzlich Neues schaffen zu können.
Für KI gilt: Je grösser und besser die Datenbasis, desto genauer ist das gewollte Ergebnis. Wie beim Menschen ist diese Intelligenz der Schlüssel zu Lernen, Denken, Planen und allen voran Kreativität.
KI als Freund und Helfer für die Kreativbranche…
KI ist mitunter ein geschätzter Freund und Helfer im kreativen Prozess. Musik, Journalismus, Literatur, Fotografie, Gaming und viele andere mehr: Es ist eine lange Liste von Bereichen, in denen KI der Kreativbranche zur Seite steht.
Einsatz-Beispiele in der Musikwirtschaft sind z.B. Songwriting, Klangdesign, Arrangement, Studioproduktion, Restauration von Aufnahmen (man denke an das jüngste Beispiel „Now And Then“ von den Beatles), Verwaltung der Metadaten von Aufnahmen und Werken (Musiklabels, Verwertungsgesellschaften), Optimierung der Datenqualität usw.
Technische Innovation, Zeitersparnis und spielerisch anmutende Input-, Entwicklungs- und Optimierungsmöglichkeiten finden selbstredend grossen Anklang bei den Kreativen.
Es gibt jedoch auch berechtigte Zweifel und Widerstände gegenüber der neuen Technologie, die auch mit der aufgeführten Unterscheidung der verschiedenen KI-Arten (assistierend, generativ) zu tun hat.
… und bereitet ebenso Kopfzerbrechen
So toll manche Tools auf den ersten Blick erscheinen mögen – oftmals basieren ihre erstaunlichen Ergebnisse leider auf massenhaften Rechtsverletzungen. Teilweise bestehen überdies Ängste, bei deren Verwendung die menschlich-kreative Kontrolle zu verlieren. Da Quantität und Qualität der Datenbasis entscheidend für den generierten Output sind, werden für KI-Applikationen regelmässig Inputs ohne Einwilligung der Rechteinhaber:innen verwendet. Konkret betroffen ist ihr exklusives Vervielfältigungsrecht. Genau deswegen muss stets ihr Einverständnis eingeholt werden.
In der Musikbranche stellen solche Daten namentlich Werke und Aufnahmen dar. Es werden nicht nur die Rechte der Urheber:innen und Produzent:innen verletzt, sondern bzgl. Stimme auch die Persönlichkeit der Interpret:innen. Das tangiert nicht nur die einzelnen Rechteinhaber:innen, sondern den innersten Kern des Urheberrechts. Der Ansporn zu Innovation steht auf der Kippe, wenn kreatives Schaffen ohne Einwilligung für eigene kommerzielle Interessen verwendet werden kann. Nur mittels der rechtlich garantierten Wertschöpfungskette lohnt sich Innovation überhaupt.
Offen ist, inwieweit Konsument:innen für rein KI-generierte Werke empfänglich sind. Bauen wir zu unseren Stars nicht eine Art Beziehung auf? Berühren uns Songs nicht wegen der Emotionen, die auf das Menschsein zurückgehen? Sollten wir aus solchen Gründen nicht erfahren dürfen, ob ein Produkt KI-generiert ist? Ansonsten können sich die Konsument:innen getäuscht vorkommen. Man denke nur an die vielen Deepfakes in verschiedensten Bereichen der Kreativbranche. Wellen schlagendes jüngstes Beispiel aus der Musikszene sind die KI-Vocals, die suggerierten, Drake und The Weeknd zu sein.
Aber nicht nur Fake-Songs, auch Fake-Streams sind problematisch. Ein Hörverhalten wird suggeriert, das gar nicht echt ist. Es verfälscht Charts und Playlisten, was das Vertrauen in eben diese beschädigt. Der Einnahmepool wird zulasten derjenigen verkleinert, die sich auf echte Hörer:innen stützen. Und wollen wir rein KI-generierte Musik als Konkurrenz zu menschlich geschaffener Musik und so die Einnahmen zulasten der kreativen Menschen verkleinern?
All dies sind nur wenige von ganz vielen Fragen. Bereits diese kleine Auswahl zeigt eindrücklich, dass KI nicht nur Vorzüge, sondern auch grosse Herausforderungen mit sich bringt. Es lohnt sich deshalb ein Blick auf das Recht, zu dessen Aufgaben ja die Klarheit und der Interessensausgleich gehören (sollten).
Was ist rechtlich geschützt?
Unser Urheberrechtsgesetz (URG) schützt geistige Schöpfungen, die einen individuellen Charakter haben. Das können Texte, Musik, Filme, Bilder oder Fotos sein. In der Musikbranche knüpfen daran u.a. die Rechte der Songwriter:innen, Interpret:innen als ausübende Künstler:innen und Labels als Hersteller:innen der Ton- oder Tonbildträger. All diese Player sind Teil der Wertschöpfungskette.
Die Ausschliesslichkeits- oder Verbotsrechte garantieren den Rechteinhaber:innen die Verwertung ihrer Leistungen. Dadurch fördert das «System Urheberrecht» die Innovation und macht geistige Güter verkehrsfähig. Das erwähnte exklusive Vervielfältigungsrecht sieht das Gesetz u.a. in den Artikeln 10, 33 und 36 URG vor. Auch die eigentliche Werkintegrität und die Persönlichkeit, u.a. in Bezug auf die Stimme, geniessen Rechtsschutz (Artikel 9, 11, 33a URG sowie Artikel 28 des Zivilgesetzbuches).
KI und das Urheberrecht: Wo liegen die Probleme?
KI arbeitet häufig mit riesigen Mengen an Daten. Dazu gehören auch urheberrechtlich geschützte Werke bzw. Aufnahmen von Musikstücken, die KI-Programme analysieren, um daraus neue Inhalte zu generieren. Das Problem? Oft wissen die Rechteinhaber:innen nicht, dass ihre Werke von KI-Systemen genutzt werden. Und es gibt keine klare Regelung, die vorschreibt, dass Unternehmen, die KI entwickeln, diese Verwendung offenlegen müssen.
Wer hat das Sagen – Mensch oder Maschine?
Wichter Punkt im Urheberrecht ist die Frage, wer die Kontrolle über die Werke hat. Bei KI-generierten Inhalten gilt: Solange ein Werk ausschliesslich von einer Maschine erschaffen wurde, geniesst es keinen urheberrechtlichen Schutz. Das bedeutet, dass diese Inhalte frei genutzt werden können. Anders sieht es aus, wenn menschliche Schöpfung mit im Spiel ist – dann greifen die Urheberrechte.
Das stellt Unternehmen, die KI-Systeme entwickeln, vor ein Dilemma. Auf der einen Seite wollen sie so viele Daten wie möglich nutzen, um ihre KIs zu verbessern. Auf der anderen Seite müssen sie sicherstellen, dass sie die Rechte der Urheber nicht verletzen.
Transparenz und Ethik: Ein offenes Thema
Eines der grössten Probleme ist die fehlende Transparenz. Weder Rechteinhaber:innen noch Konsument:innen wissen oft, ob ein KI-generierter Inhalt auf urheberrechtlich geschütztem Material basiert. Das erschwert die Rechtsdurchsetzung und stellt das Vertrauen auf die Probe. Viele Menschen sind skeptisch gegenüber KI, und diese Intransparenz verstärkt die Unsicherheit.
Hinzu kommen ethische Fragen: Soll es Pflicht sein, zu kennzeichnen, ob ein Werk von KI oder einem Menschen stammt? Welche Verantwortung tragen Unternehmen, die KI entwickeln und vermarkten? Diese Fragen sind nicht nur für Rechteinhaber:innen wichtig, sondern auch für alle Konsument:innen.
Handlungsbedarf
Es kursieren viele Ansichten zu KI. Die Positionen der IT- und Kreativbranche müssen sich nicht zwingend widersprechen, sondern es geht um einen fairen Ausgleich unterschiedlicher Interessen. In der Schweiz hat z.B. die «KI-Allianz Kreativwirtschaft»[i] konstruktive Positionen und Forderungen formuliert. IFPI Schweiz ist ebenfalls in diesem Zusammenschluss zahlreicher Verbände der Kreativen und Rechteinhaber:innen aus den Bereichen Literatur, Medien, Musik, Games, Film und Fotografie. Die Anliegen umfassen:
Erhaltung und Durchsetzung des Zustimmungserfordernisses bei Machine Learning mit geschützten Inhalten;
Verzicht auf neue und erweiterte Schranken und Ausnahmen im Urheberrecht für Machine Learning und KI;
Verzicht auf neuen Schutz für rein KI-generierte Werke;
Transparenz: Pflicht zur Deklaration beim Einsatz und Offenlegung der Quellen von KI-Anwendungen.
Wie geht es weiter?
Die schnelle Entwicklung von KI stellt das Urheberrecht vor neue Herausforderungen. Der Bundesrat prüft derzeit, ob es in der Schweiz Anpassungen der Gesetze geben muss, um den Schutz der Urheberrechte im Zusammenhang mit KI zu verbessern.
In der Europäischen Union wurde bereits der sogenannte AI-Act verabschiedet, der Transparenzpflichten für KI-Anbieter einführt. Und in den USA sind mehrere Gerichtsverfahren anhängig, die sich mit der Frage beschäftigen, wie KI und Urheberrecht in Einklang gebracht werden.
Fazit: Rechte schützen, Innovation ermöglichen
Menschliche Kreativität ist hoch individuell und die jeweilige Persönlichkeit findet Ausdruck in ihr. Sie ist mehr als die Wiedergabe von Wahrscheinlichkeiten. KI kann auf vielfältigsten Ebenen von grossem, hilfsweisem Nutzen für die Menschen sein. In der Kreativbranche beflügelt sie die Inspiration, perfektioniert diese und optimiert diverse Abläufe des kreativen Schaffens.
Technologischer Fortschritt heisst aber auch, Verantwortung zu übernehmen. Zwar bedingt die Wertschöpfung neuer Technologie oftmals Content. Doch darf dies nicht zulasten einer Ausbeutung kulturell-kreativer Leistungen ohne jegliche Erlaubnis und Bezahlung erfolgen. Eine unkontrollierte, intransparente und massenhafte Reproduktion kreativer menschlicher Schöpfungen ohne Einwilligung entwertet eben diese. Das jetzige Recht sieht das nicht vor und das ist gut so.
Das Recht sollte ergänzend Transparenz- und Deklarationspflichten vorsehen. Sie helfen der Eruierung von Rechtsverletzungen und schaffen Authentizität. Es stimuliert auch die weitere Etablierung fairer Lizenzierung, ohne dass es darüber hinaus eine staatliche Intervention bedarf. Eine Kollektivverwertung reibt sich auch mit dem Persönlichkeitsrecht. Eine allfällige Entscheidung zur kollektiven Wahrnehmung von Rechten muss stets in der freien Befugnis der Rechteinhaber:innen sein.
Kreativ sein heisst wohl immer zu einem gewissen Grad auch Mensch sein. Und das ist natürlich genauso zu KI-Zeiten möglich! Technologie von morgen und Kreativität haben die Innovation gemein. Durch konstruktive Verständigung und ausbalanciertes Recht können wir sicherstellen, weder das eine noch das andere zu gefährden. Ganz nach der Devise: Kreativ sein in Zeiten künstlicher Intelligenz!
[i] A*dS - Verband der Autorinnen und Autoren Schweiz; ARF-FDS Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz; AudioVision Schweiz; filmdistribution schweiz; GARP - Gruppe Autor:innen Regisseur:innen Produzent:innen; IFPI - Verband der Musiklabels; IG Unabhängige Schweizer Filmproduzenten; IndieSuisse; ProCinema; Schweizer Syndikat Film und Video (SSFV); SGDA – Swiss Game Developers Association; SIYU professionelle fotografie schweiz; Swiss Film Producers'; SWISSFILM ASSOCIATION; syndicom - Gewerkschaft der Illustrator:innen; Verlegerverband SCHWEIZER MEDIEN (VSM).
Alle weiteren Artikel finden Sie auf unserem Blog «How to Swiss Music Biz».
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